CF: Der Wald // Die Lichtung im Wald

In dem Moment, als ich die Tür aufstieß und mir einen kurzen Überblick über den Raum verschaffte, merkte ich schon, dass Nora und ich die einzigen Mädchen in diesem Raum waren. Der Saal war gähnend leer; wahrscheinlich waren alle schon fertig mit dem Frühstück oder noch nicht wach. Wenn es Langschläfer waren....
Hektisch strich ich mir durch die Haare und atmete tief durch. Noroelle und ich hatten uns im Wald ein bisschen verlaufen und waren zuletzt noch ziemlich gerannt. Zum Glück hatte meine Freundin sich ab den Mädchenunterkünften wieder ausgekannt, sonst wären wir immer noch nicht hier.

"Was gibt's denn hier immer so zu essen?", fragte ich und drehte mich kurz zu Nora um. Dann ging ich langsam den Mittelgang hinab zu der großen Selbstbedienungstheke. Das Angebot war nicht wirklich vielversprechend: eine Schale mit Obst, das kurz vor dem Kompost-Tod stand, eine undefinierbare Pampe, die nicht wirklich appetitlich aussah, grünen Wackelpudding und Rührei mit Schinken.

"Urgh. Ist das Essen hier immer so? Auch an....keine Ahnung, Weihnachten oder so?" Seltsamerweise war die Vorstellung, an Weihnachten ebenfalls so einen Fraß vorgesetzt zu bekommen, abstoßend für mich. Sogar auf der Straße hatten wir Weihnachten einigermaßen gesittet gefeiert, es gab eine Einrichtung für Straßenkids wo es richtigen Braten gab.

Seufzend nahm ich mir einen grünen Apfel, der noch relativ gut aussah und häufte etwas von dem Rührei auf meinen Teller. Ich sah mich ein bisschen orientierungslos um, wo gab es denn hier was zu trinken? Mein Blick fiel auf die Tische. Auf jedem stand eine Karaffe mit Wasser, eine Flasche Milch und sogar eine Kaffeekanne und Zucker. Aber seltsamerweise keine Tassen weit und breit.
Ich setzte mich an einen Tisch etwa in der Mitte des Raumes und hoffte, das Nora mir folgte. "Wo gibt es denn hier Tassen?", fragte ich stirnrunzelnd, als ich meinen Teller abgestellt hatte.

Ich betrat nach Lerina den Raum. Er war extrem leer, was eigentlich fast nie vorkommt. Ich machte mir garnicht die mühe ein Tablett zu nehmen, sondern nahm das Geschirr und Besteck einfach in die Hände und lasse mir eine Portion geben. Beim Obst suchte ich mir noch eine Birne aus. " Ja das essen ist eigentlich immer das kleiche zumindest beim Frühstück. Ab den Mittagessen werden sie kreativ und es gibt immer etwas normales und etwas undefinierbares. Das Abendessen machen sie nach Lust und laune, meistens suchen sie sich ein Lamd raus und dann gibt es das tübische Abendessen von dem Land. Ob es schmeckt ist ne andere Frage, denn manche sachen schmecken garnicht."
Ich schlendere inter Lerina her wärend ich ihre nächste frage beantworte: " Mh bei Weihnachten ist es glaub ich so, dass sie ein bisschen mehr auftüschen und sie sich mehr mühe machen beim kochen und dann gibt es noch tüpische Weihnachtsgerichte. "
Ich stellte mein Zeug ab und schob mir schnell eine Gabel in den Mund, bevor ich aufstand um mir was zu trinken zu holen. Als Lerina mich fragte wo denn die Gläser sind. Gib ich ihr mit handbewegungen zu verstehen, dass sie mir folgen sollte. Als ich am Getränketisch war, bückte ich mich und öffnete das Sideboard aufdem sie standen. Ich nahm mir eine große Tasse und schüttete Tee mit viel Milch hinein. Ich wartete auf sie, bis sie fertig war und fragte dabei: " Wie findest du den bis jetzt GlassDome? Wie hast du es dir den vorgestellt?"

Noroelle führte mich auf meine Frage hin zu einem großen Tisch, voll mit Tassen und Getränken. Ich nahm mir eine gelbe Tasse mit einem leicht angeschlagenen Rand von der Tassen-Pyramide und füllte sie zur Hälfte mit Milch, dann nahm ich noch etwas Kaffee aus einer der Kannen, denn ich hatte so das Gefühl, dass der Kaffee auf unserem Tisch schon kalt sein würde.

Vorsichtig trug ich die Tasse an meinen Platz und setzte mich. Dann griff ich zu dem Zuckerstreuer, um den Kaffee zu süßen, denn sonst bekam ich ihn nicht runter.
Als ich gerade anfangen wollte, mein Rührei zu essen, stellte Nora die Frage, wie ich mir Glass Dome vorgestellt habe. Ich schob mir die Gabel mit dem Ei in den Mund und kaute nachdenklich darauf herum und schluckte, bevor ich antwortete.

"Eigentlich....habe ich es mir nicht so...normal vorgestellt. Eher wie einen Hochsicherheitstrakt aus grauem Beton und Stahl mit überall herumstehenden, grimmigen Wächtern. Aber das hier....die Stadt und dass wir unbeaufsichtigt herumlaufen können - auch wenn sie uns bestimmt über Kameras immer im Blick haben - ist schon seltsam. So hatte ich das definitiv nicht erwartet!" Ich lachte kurz sarkastisch auf. "Es kommt mir ein bisschen trügerisch vor. Aber Fay und mir gefällt es jetzt schon sehr gut hier! Früher haben wir immer nur Gruselgeschichten von diesem Ort gehört - von Leuten, die hierher geschickt wurden und nie mehr zurückkamen. Aber vielleicht...vielleicht hat es ihnen hier vielleicht nur gefallen. Sich nicht immer verstecken müssen..."

Nachdenklich endete ich meinen Monolog und aß noch eine Gabel voll Rührei. Leise rührte ich mit einem Löffel meinen Latte Macchiato um und fragte schließlich: "Und was ist mit dir? Wie gefällt es dir hier? Du bist ja schon länger hier als ich. Und warum bist du eigentlich hier gelandet?"
Interessiert schaute ich sie und biss nebenbei in den Apfel. Aah, er schmeckte besser, als er aussah. Genüsslich aß ich noch ein Stück.

Ich war verunsichert als ich die Frage hörte, doch ich glaube ich kann Lerina vertrauen. Also antwortete ich : " Mord. Ich habe jemanden ermordet. Jemanden der mir wichtig war." Ich schluckte als wieder die Bilder vor meinen Augen aufflackern, " und dannach bin ich geflohen. In eine andere Stadt gezogen und habe gehofft das ich normal weiterleben kann, doch..."
Ich schwieg eine Zeit lang als sich das ganze Szenario vor meinen inneren Auge nochmal abspielte:" Es war sehr schwer "normal" zu wirken, sich zu verstellen und leben. Schließlich hat eine Zeugin, die einzigste Zeugin, mich wiedererkannt. Sie war geschockt das ich exakt gleich aussah wie damals und hat mich natürlich sofort angeklagt."
"Du musst es ihr ganz erzählen", dachte ich mir, " es geht doch nicht, dass du es Jahr für Jahr es sich mehr in dich hineinfrisst ohne das du was dagegen machst. Du bist ein Arzt, du solltest das wissen!"
Doch ich ignorierte die Stimme und antwortete daher lieber auf die andere Frage mit einem gespielten lächeln: " Für mich war Glass Dome zum teil eine Erleichterung, man konnte so sein wie man wollte, doch wenn man jahrelang seine Identität verborgen hat dann nutzt man diese Chance nicht - jedenfalls ich hab sie nicht genutzt. Jahrelang hab ich nur das nötigste erzählt und hab zwar auch Frwundschaften geknüpft, aber distanziert. Nur wenn ich geschlafen habe, wobei ich seltsame träume hatte wo ich mich selber nicht mehr wiedererkannte, fühlte ich mich frei, oder wenn ich fliege.", ich war in einen Redefluss gefangen bis mir auffällt das ich schon mehr gesagt hab als ich wollte also endete ich mit, "Aber es ist besser als das normale Leben für eine gewisse Zeit, dannach will ich auch wieder in die Menschenwelt - wenn ich dafür bereit bin." Ich hörte auf und fragte schließlich:" und wie bist du hierher gekommen?"

Ich war froh, dass ich nichts im Mund hatte, sonst hätte ich mich sicher verschluckt. Ich versuchte, die Reaktion so gut es ging zu kaschieren - ich wollte ja nicht, dass Noroelle dachte, ich verurteilte sie. Sie hatte bestimmt ihre Gründe. Ich überlegte kurz, ob ich noch eine Frage stellen sollte, aber ich verkniff mir meine Neugier, denn meiner Freundin schien das Thema unbehaglich zu sein. Kein Wunder.

Verblüfft schwieg ich, als sie mir erzählte, dass sie sich noch keinem wirklich geöffnet hatte. Erstens, weil ich garantiert noch nicht so einen langen Redeschwall von ihr zu hören bekommen hatte und zweitens, weil ich das wirklich nicht erwartet hatte. Wie lange kannte ich sie jetzt erst? Zwei, drei Stunden? Aber trotzdem hatte ich das Gefühl, mehr über sie zu wissen als über alle meine ehemaligen Freunde auf der Straße zusammen.
"Wie kommt es dann, dass du mit mir....na du weißt schon. Du machst auf mich nicht gerade einen verschlossenen Eindruck", sage ich verwirrt und grinse ein bisschen, damit sie merkt, dass ich ihr keinen Vorwurf oder so mache.

Langsam neigt sich das Rührei auf meinem Teller dem Ende zu. Schade, es war so lecker. Ich gebe Noroelle zu verstehen, dass ich erst aufessen will, bevor ich ihr antworte.

Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, ihr das alles über mich zu erzählen, aber ich habe auch das Gefühl, diesem Mädchen vertrauen zu können. Deswegen hole ich schließlich tief Luft und fange an zu sprechen.
"Ich hab' mehrere Jahre lang in einer Straßengang aus San Francisco gelebt. Da komme ich auch her. Und da hab ich ....sagen wir es mal so, ein paar unschöne Sachen gemacht. Aber um ehrlich zu sein, hat es mir nicht wirklich etwas ausgemacht. Die Leute da waren meine Familie und wir hatten auch ziemlich viel Spaß. Naja, bis vor circa drei Monaten. Da hatten wir einen großen Auftrag am Laufen - und den haben wir verpatzt. Ich war davor schon vorbestraft, aber nach dem Vorfall konnten sie mich nicht mehr einfach so laufen lassen und eigentlich wollte ich es auch nicht." Ich mache kurz eine Pause, um mich zu sammeln. "Damals kannte ich Fairy schon drei Jahre und mir war klar, dass das nicht ewig so weitergehen konnte. Und dann kamen plötzlich so merkwürdige Special-Agents, die alles über sie wussten und mir sagten, dass wir beide hier sicher sein würden. Es klang wie ein Angebot, aber es war keins. Es war ein Befehl, der dann im Gericht offiziell gemacht wurde. Und tja, jetzt bin ich hier und zwar wahrscheinlich für immer, wie's aussieht."
Das letzte Kommentar klingt ein bisschen bitter, das weiß ich. Eigentlich ist das ungerechtfertigt, ich habe mich ja schließlich selber hierhergebracht.

Seufzend beiße ich nocheinmal von meinem Apfel ab und merke, dass auch Nora mit dem Essen fertig geworden ist. "So, und was machen wir jetzt noch den ganzen Tag? Ich würde ja gerne ein Handy haben und mich ein bisschen hier auf der Insel umschauen. Was sagst du? Willst du was anderes machen?", fragte ich und leerte meinen Latte Macchiato.

Ich hörte ihr zu und wusste nicht was ich auf diese Frage antworten sollte. "Ja warum eigentlich. Warum bei ihr und nicht bei meiner ehemaligen Zimmergenossin?" "Ich... ich weiß es nicht", antwortete ivh warheitsgetreu, "Du hast etwas an dir was einladend wirkt und .... also könntest du gut zuhören und... als... würdest du es nicht gleich jeden weitersagen", ich stotterte vor mich her. Aber nicht weil ich nervös bin, sondern eher weil mir die Worte fehlen. Ich bin keine große Rednerin und in erklären bin ich noch schlechter. Ich lies sie in ruhe Essen und esse wärenddessen selber von meinen Teller. Ich hörte ihr zu und fragte mich was sie wohl genau in der Gang gemacht hat, doch ich traute mich nicht weil ihr die Sache unangenehm schien. Als sie fragte was wir machen war ich mit der Idee ein Handy zu kaufen einverstanden: "Ja das klingt gut, dann siehst du auch gleich ein bisschen was von der Stadt, der Schrottplatz ist nämlich auf der anderen Seite. Ich bräuchte auch wieder ein neues Handy, obwohl es dir fast nichts bringt, weil wir sowieso alle unter einer Kuppel sind. Aber es ist trotzdem gut eins zu haben. Und wir können auch irgendwann zum Strand oder zur Schule gehen. Wie du wilst."

Ich bin so überrascht, dass ich fast meinen Latte Macchiato verschluckt hätte - wenn denn noch einer im Glas gewesen wäre. Stattdessen pruste ich in den Schaum. Ich wirke einladend auf sie? Das ist ja etwas ganz neues. Normalerweise werde ich kaum wahrgenommen und es ist auch wirklich seltsam für mich, solch ein Vertrauen entgegen gebracht zu bekommen. Allerdings muss ich sagen, dass ich Nora auch vertraue - sonst hätte ich ihr das nie erzählt mit meiner Gang. Aber warum das so ist, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Vielleicht sind wir einfach Seelenverwandte oder sowas kitschiges? Natürlich nicht im romantischen Sinne, Gott bewahre. Eher im freundschaftlichen.

"Danke!", sage ich deswegen und werde augenblicklich rot. Aufgeräumt, um meine Verlegenheit zu überspielen, stehe ich auf und nehme mein Tablett mit mehr Wucht als nötig nach oben.
"Dann können wir ja jetzt los! Ich bin schon so gespannt, wie es hier so aussieht!" Eifrig bringe ich das Tablett zu einem dieser Wagen und räume das Geschirr davon herunter, bevor ich es auf einen Stapel zu den anderen stelle.
"Du musst voraus gehen, ich kenn mich ja nicht aus", grinse ich. Innerlich sprühe ich schon voller Tatendrang. "Auf zu den Handy's", rufe ich spielerisch und lache breit.

TBC: Die Stadt // Ausserhalb // Der Schrottplatz

Wie aus dem Nichts hört man es in ganz GlassDome erschallen. Das komplette Gefängnis hält inne, als Rauschen, wie aus tausend Lautsprechern widerwärtig kratzend in den Ohren schallt, nur um kurz darauf die sanfte Stimme einer Frau erklingen zu lassen. Doch fragt euch, ist die Stimme real? Ähnlich im Klang wie in den Bahnen, die ihr früher als normale Bewohner der Erde gefahren war, singt sie in euren Ohren, vermag euch trügerische Illusion eines früheren Lebens zurückzugeben. Sie ist real und ebenso ist das was sie euch verkünden mag.
„Unsere lieben Bewohner von Glassdome – Neue, wie auch schon Bekannte. Dies ist eine Durchsage. Es wird umgehend gebeten sich in seine, für sich zugeteilte Unterkunft zurückzuziehen. Wer sich in einer Stunde nicht an dem zugewiesen Ort befindet, wird eliminiert.
Dies gilt für ALLE Bewohner von GlassDome.
Ich wiederhole.
Dies ist eine Durchsage. Es wird umgehend gebeten sich in seine, für sich zugeteilte Unterkunft zurückzuziehen. Wer sich in einer Stunde nicht an dem zugewiesen Ort befindet, wird eliminiert.
Dies gilt für ALLE Bewohner von GlassDome.
Der Quarantänemodus wird ausgerufen. Bitte bleiben sie in ihren Unterkünften, für Essen wird gesorgt sein. All ihre Fragen werden bald geklärt sein. Verlassen sie unter keinen Umständen ihr Zimmer oder sie werden eliminiert. Nach der Stunde werden alle Unterkünfte automatisch abgeriegelt, ein und ausdringen wird dann unmöglich sein. Ich wiederhole, begeben sie sich schnellstmöglich in ihre Unterkunft – oder sie werden eliminiert.
Einen schönen Tag – Danke.“
Erneutes Rauschen beendet die Durchsage, eröffnet dafür jedoch Sirenen, welche den Beginn der Quarantäne ankündigen.